31. Juli 2024
Es benötigt Wissenschaft und Fantasie, um herauszufinden, wie die Menschen in der Stein- und Bronzezeit lebten. Auf diese Kombination setzt das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen am Bodensee seit über 100 Jahren. Und der Erfolg spricht für Deutschlands ältestes archäologisches Freilichtmuseum für sich: Über 300.000 Besuchende jährlich zählt das Museum, das von einem privaten Verein getragen wird. „Wir sind eines der erfolgreichsten Museen Deutschlands“, sagt Museumsdirektor Gunter Schöbel. Den Erweiterungsbau, der im Juni eröffnet wurde, entwickelte a+r Architekten aus Stuttgart und Tübingen. Blickfänger des Holzbaus mit fast 1.300 Quadratmeter Nutzfläche ist sein offener Dachstuhl mit einer expressiven unterspannten Rahmenkonstruktion aus Brettschichtholz.
Mit der Erweiterung rüstet sich das 1922 gegründete Museum für die Zukunft. „In der heutigen Zeit ist es wichtig, den Gästen bei der Geschichtsvermittlung ein attraktives und verständliches Erlebnis zu bieten und sich immer wieder, auch in Anbetracht der digitalen Konkurrenz, zu überlegen, mit welchen Mitteln dies optimal erreicht werden kann“, erklärt Prof. Dr. Gunter Schöbel. Seit über 100 Jahren bietet das Museum Einblicke in 3.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Im Freilichtbereich lassen sich 23 der Stein- und Bronzezeit nachempfundene Pfahlbauten besichtigen. Der Neubau beherbergt nun ein modernes Besucherzentrum und eine neue Ausstellung zum UNESCO-Weltkulturerbe der Pfahlbauten. Die originalen Reste der Pfahlbauten befinden sich nur wenige Meter vom Museum entfernt unter Wasser. Hervorgegangen ist der Entwurf von a+r Architekten aus einem Wettbewerb im Jahr 2018, den die Stuttgarter mit dem 1. Platz für sich entscheiden konnten.
Keimzelle der Konzeption von a+r Architekten ist das Bild von einem Einbaum-Boot aus der Bronzezeit, das im Winter umgedreht an Land gezogen wird und einen Wetterschutz für darunter lagernde Objekte, wie etwa Werkzeuge, bietet. Mit dieser Metapher entwarfen die Architekten ein Langhaus mit Satteldach, das wie ein umgedrehtes Boot Schutz für die Ausstellungsstücke bietet. a+r Architekten haben das Haus in der Mitte, wo die Besucher aus dem Empfangsannex eintreten, verbreitert. An den großzügig verglasten Giebelseiten verjüngt sich hingegen das Bauwerk. Durch diesen geometrischen Kniff verdreht sich das offene Dachtragwerk und sorgt für eine faszinierende Symmetrie im Innenraum. Die Holzrahmen bestehen aus Brettschichtholzträgern aus unbehandelter heimischer Fichte im Abstand von je 1,60 Metern mit gekreuzten Unterspannungen. Von der Dachkonstruktion wurde mittels Zugstangen aus Stahl eine Galerie abgehängt, die weitere Ausstellungsflächen aufnimmt.
Der Neubau fügt sich harmonisch in die Umgebung der kleinen Bodenseegemeinde Uhldingen-Mühlhofen ein. „Die städtebauliche Körnung und die Dachform lehnt sich an die umgebende Bebauung an der Seepromenade an“, erklärt Architekt Alexander Lange, Geschäftsführer a+r Architekten. „Der neue Haupteingang steht dabei prägnant und gut auffindbar am neu gestalteten Museumsvorplatz. Zur Seeseite ist das Gebäude etwas zurückgesetzt, um dort nicht die nachgebauten Pfahlbauten des Freilichtmuseums zu dominieren. Dadurch entstand zudem ein neuer, attraktiver Freibereich mit Terrasse am See.“
Viele Bauteile des rund 45 Meter langen Erweiterungsbaus, der zum Großteil aus Brettsperrholz besteht, wurden vorgefertigt und ermöglichten so eine kurze Bauzeit von 18 Monaten. Errichtet wurde das Gebäude auf 81 Pfahlgründungen, die bis zu 20 Meter in den Seegrund reichen. Um die Fassaden optisch an die bis zu 100 Jahre alten Pfahlbauten des Museums anzupassen, wurde das Langhaus und das Empfangsgebäude mit vorvergrauten Kanthölzern aus langlebiger Lärche verkleidet. Die bronzefarbenen Fenster- und Öffnungsflügel fügen sich harmonisch in die zurückhaltende Fassade ein. Im Innenausbau dominiert das Material Holz, die Wandverkleidungen ließ a+r Architekten aus Weißtanne fertigen, die Deckenflächen sind mit Holzakustikpaneelen belegt, den Bodenbelag auf der Galerie aus dunklerem Industrieparkett. Der helle Fußboden im Erdgeschoss besteht aus einem geschliffenen Estrich mit Zuschlägen vom sandigen Seeboden, der sich optisch angenehm in das Holzambiente einfügt.
Der Museumsneubau dockt an der Westseite direkt an den Bestand an, der die gesamte Haustechnik und auch die neu gestalteten Sanitärräume aufnimmt. So konnte die neue Ausstellungshalle von a+r Architekten nach dem Prinzip „Einfach Bauen“ in Low-Tech-Bauweise ausgeführt werden. Über großzügige Oberlichter wird die Halle etwa mit ausreichend Tageslicht versorgt. Für einen positiven energetischen Effekt des gesamten Museums wurden im Zuge der Erweiterung auf dem Bestandsdach Photovoltaikflächen zur autarken Stromversorgung ergänzt. Eine Besonderheit beim Erweiterungsbau ist, dass unter dem Empfangsbereich zwei öffentliche Abwasserleitungen verlaufen. Daher wurde das Foyer nur mit untergeordneten Bauteilen überbaut, die bei Notwendigkeit in kurzer Zeit entfernt werden können.
Der Baukörper von a+r Architekten ist der neue Auftakt des Besuchererlebnisses. „Mit einer emotionalen und atmosphärischen Rauminszenierung stimmt er auf die Faszination Pfahlbauten ein und bietet gleichzeitig den Raum, das Gesehene im Rundgang zu vertiefen und aus neuen Perspektiven zu entdecken“, erklärt Museumsdirektor Gunter Schöbel. Im Erdgeschoss – im Ausstellungsbereich „Spuren der Pfahlbauer“ – gibt es zahlreiche Originalfunde aus dem Bodensee zu entdecken. Über Lichtinstallationen wird auf dem Fußboden ein Welleneffekt erzeugt, als bewege man sich unter Wasser. Auf Höhe der Galerie und der Lichtskulpturen schwebt ein Nachbau eines Einbaums, der die Vermittlungsebenen des Museums in einen Bereich unter und einen über Wasser trennt. Auf der Galerie – „über Wasser“ – werden im Bereich „Rätsel der Pfahlbauer“ die Geschichte des Pfahlbaumuseums und neue Forschungsergebnisse präsentiert. Die Ausstellungskonzeption mit der Gestaltung der Vitrinen im Erdgeschoss und der Lichtinstallation entwickelte in enger Zusammenarbeit mit den Kuratoren des Museums das Stuttgarter Büro für Kommunikation im Raum, jangled nerves.
Nach dem Besichtigen der Originalfunde im Erdgeschoss werden die Besucher in das Archaeorama, das sich im Bestandsgebäude befindet, geleitet. In einer eindrücklichen 360 Grad Multimediashow werden den Museumsgästen die unterseeischen Reste der Pfahlbauten, welche zum Weltkulturerbe zählen, gezeigt und eine Idee mitgegeben, wie das Leben in der Stein- und Bronzezeit am Bodensee verlief. Das Archaeorama wurde ursprünglich 2013 in Betrieb genommen und wurde im Zuge der Erweiterung rundum erneuert. Nach der Multimediashow werden die Besuchenden in das Freigelände des Museums mit seinen Nachbauten auf dem See entlassen.
Projekt: Erweiterung des Pfahlbaumuseums in Uhldingen-Mühlhofen
Bauherr: Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde e.V., www.pfahlbauten.de
Architektur: a+r Architekten, Stuttgart/Tübingen, www.aplusr.de
Eröffnung: Juni 2024
Bauzeit: November 2022 bis Mai 2024
Außenanlagen: Planstatt Senner Stuttgart, www.klima-umwelt-planstatt.de
Tragwerksplanung: merz kley partner, Dornbirn, www.mkp-ing.com
Ausstellungsgestaltung und Lichtinstallation: jn jangled nerves, Stuttgart, www.jn.de
BGF: 1.530 m2
BRI: 8.480 m3
Nutzfläche: 1.274 m2
Stuttgart, im Juli 2024
Beleg erbeten
BITTE BEACHTEN: Richten Sie Ihre Anfrage an a+r Architekten, Miriam Gärtner, um die Nutzungsrechte der Fotos abzuklären: pr@aplusr.de
Grundsätzlich gilt: Ausschließlich für die einmalige redaktionelle Nutzung der Tages- und Wochenpresse print und online innerhalb des Jahres 2024 zur Berichterstattung über die Erweiterung des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen.
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