21. Juni 2023
Ein Ort der Begegnung für alle Menschen des städtischen Quartiers – kann das ein kirchliches Gebäude heute sein? Solch einen Ort für die Gemeinde in der Weststadt von Ulm zu schaffen, war das Ziel des Architekturbüros a+r beim Entwurf für das Areal der Kirche St. Elisabeth und die damit einhergehende Mehrfachnutzung. Bewusst entschied man sich dafür, einen Teil des Grundstücks zu verkaufen, um den Neubau des Gebäudes zu ermöglichen. Ein Beispiel unter vielen, in einer Zeit, in der die meisten Gemeinden an Mitgliedern verlieren und somit auch an Einnahmen, um ihre Gebäude instand zu halten. Es braucht Ideen und manchmal auch Mut und Planende, die es verstehen, aus dem Gegebenen das Beste herauszuholen.
Rund 100 Jahre nach Grundsteinlegung der Kirche St. Elisabeth findet die Einweihung des zugehörigen Gemeindehauses statt – benannt nach Papst Johannes XXIII., Angelo Guiseppe Roncalli, der trotz seines hohen Alters begann, neue Wege zu gehen und voller Mut die Kirche zu erneuern. Der Name Roncalli scheint wie geschaffen für das neue „Haus mitten in der Welt“, wie Dekan Ulrich Kloos es nennt, steht er doch für Dynamik und Aufbruch und ein Denken, das seiner Zeit in vielen Bereichen weit voraus war.
Entstanden ist ein dreigeschossiger, abgewinkelter Neubau, der den Kirchplatz nach Süden hin fasst und der gemeinsam mit der umgebenden Bestandsbebauung eine „grüne Mitte“ ausbildet. Zum Kirchplatz hin präsentiert sich das Gebäude in einer klaren, rechteckigen Fassade, mit einer prägnanten halbrunden Auswölbung am linken Gebäuderand. Diese Rundung der Fassade zum Kirchplatz hin markiert das Treppenhaus und schafft einen interessanten Kontrast zur sonstigen Geradlinigkeit des Baukörpers Im ersten und zweiten OG markiert jeweils ein rundes Fenster den Übergang zwischen der geschwungenen und der geradlinigen Fassade, die durch regelmäßig angeordnete, quadratische Fenster strukturiert ist.
Eine weitere Besonderheit des Gebäudes ist die robuste Vollklinkerfassade aus beigefarbenem Wasserstrich-Klinkern, die sich farblich harmonisch in die umgebende Bebauung einfügt. Die Ausbildung der Fenster-Faschen durch zurückversetzte Steine sowie die mit Klinkerriemchen belegten, massiven Fensterbänke setzen dabei einen interessanten Akzent. Im Erdgeschoss springt die Fassade zurück und ermöglicht damit einen breiten, überdachten Eingangsbereich, dessen Holzfassade farblich mit den dunkelbraunen Holzrahmen der Fenster- und Türelemente harmoniert. Die große doppelflügelige Eingangstür aus Holz führt direkt vom Quartiersplatz in das Gemeindehaus mit Pfarrbüro, Gemeindesaal und den Jugendräumen. An der Fassadenauswölbung befindet sich die zweite, schmalere Eingangstür zur Erschließung der beiden oberen Geschosse, in denen sich die Kindertagestätte befindet.
Im ersten und zweiten OG bilden nach Süden hin gestaffelte und großflächige Dachterrassen einen fließenden Übergang zur „Grünen Mitte“. Der Gebäudeflügel mit den Dachterrassen verjüngt sich zum Ende und bildet einen parallel verlaufenden Durchgang mit dem neuen Mehrfamilienhaus, dessen erdgeschossige Fassade mit beigefarbenen Klinkerriemchen hervorragend mit der Vollklinkerfassade des Gemeindehauses harmoniert. An der Ostseite befindet sich die lange und parallel zu den Dachterrassen verlaufende Außentreppe. Sie dient im Notfall als Fluchtweg, ermöglicht den direkten Zugang von den beiden oberen Geschossen in den Garten und unterstreicht mit ihrer sanften Abstufung den behutsamen Übergang vom Gebäude zu den Freianlagen architektonisch. Der rhythmische Wechsel von Glas und dunklem Holz charakterisiert die Fassade im Erdgeschoss und steht im Kontrast zu den gleichmäßig angeordneten Fenstern in den Stockwerken darüber.
Im Inneren setzt sich der reduzierte Materialkanon fort. Die Wände in den zentralen Bereichen (Foyer Gemeindehaus und Treppenhaus KiTa) sind in Sichtbeton ausgeführt, die einen gelungenen Kontrast zu den warmen Parkettböden im Gemeindehaus und zu den roten Kautschukböden in der KiTa entstehen lassen. Der Gemeindesaal ist schlicht gehalten. Vier große zweiflügelige und mit Eichenfurnier belegte Türelemente verbinden bei Bedarf den großen Saal mit dem Foyer. Die abgehängte und gegliederte Decke verbessert das Raumgefühl und die Akustik und bietet in den niedriger abgehängten Bereichen Platz für die Lüftungskanäle zur mechanischen Lüftung.
Wichtiger Aspekt des baulichen Ensembles war die Neugestaltung der Freianlagen. In Richtung Süden rahmt das Gebäude einen grünen Innenhof ein, der ausschließlich vom Kindergarten genutzt wird. Hier konnte unter anderem die große Linde erhalten werden, die vor den Baumaßnahmen bereits ein wichtiger Bezugspunkt für die Kindergartenkinder war. Nach Westen schließt sich hier das geschützte Außengelände des Wohnungsbaus an.
Auf dem Kirchplatz wurden die Parkplätze an den Rand verlegt und eine weiträumige, freie Fläche geschaffen, die von großen Bestandsbäumen eingerahmt ist. Die Mitte des Platzes markiert ein Baum, umgeben von im Rondell angeordneten Sitzgelegenheiten. Die hellen Steine an den Fassaden und auf dem Boden erzeugen im Zusammenspiel mit den umgebenden Bestandsbäumen und der gestalteten Mitte eine einladende und freundliche Atmosphäre. Der neue Kirchplatz verbindet das Roncalli-Haus mit der Kirche und der umgebenden Bebauung und wird damit zu einem zentralen Ort des Miteinanders und des sozialen Lebens, der das Quartier belebt und sich – weit über die religiösen Grenzen hinaus – für die Menschen öffnet.
Projekt: Gemeindehaus mit Pfarrbüro und Kindertagesstätte sowie Anbau Sakristei St. Elisabeth Ulm
Standort: Elisabethenstraße 37/1, 89077 Ulm
Bauherr: Katholische Kirchengemeinde St. Elisabeth, Siedlungswerk
Architektur: a+r Architekten GmbH Stuttgart, www.aplusr.de
BGF: 2.100 m²
BRI: 7.480 m³
Nutzfläche: 1.720 m²
Einweihung: 17. Oktober 2021
Fotos: Werner Huthmacher
Stuttgart, im Juni 2023
Beleg erbeten bei Veröffentlichung
BITTE BEACHTEN: Richten Sie Ihre Anfrage an a+r Architekten, Miriam Gärtner, um die Nutzungsrechte der Fotos abzuklären: pr@aplusr.de